Göttliches Bewusstsein

 

 

Göttliches Bewusstsein

 

Der Vijnana Bhairava Tantra gehört zu den ältesten und angesehensten Texten des kaschmirischen Shivaismus. Dieses Buch vom Göttliches Bewusstsein gilt als Unterweisung von Bhairava (Shiva) gegenüber seiner göttlichen Gemahlin Bhairavi (Shakti). Das Werk offenbart 112 Methoden zur Erlangung der “mystischen Erkenntnis der göttlichen Wirklichkeit” − dem Erwachen im gegenwärtigen Bewusstsein.

Bei der kaschmirischen Form des Shivaismus handelt es sich um eine monistische und non-duale Denkweise. Einziges Objekt und einziges Subjekt ist Shiva, das Un-Unterschiedene Eine, das in allem wirkt. Shiva ist das höchste Selbst, untrennbar als Bewusstsein geeint mit seiner Energie − Shakti. Die Energie, die seit Einstein als andere Modalität der Masse angesehen werden kann, bildet unseren Kosmos. Dieser Kosmos ist beseelt und durchwirkt von Bewusstsein, das im Sinne der Non-Dualität nichts anderes ist als Shiva − Einheit.

Die Hauptaussage dieser Denkweise zielt auf vollständige Gotteserkenntnis durch jedwedes Erleben der Welt ab. Darin ist sie anderen mystischen Denkweisen ähnlich. Kern der Lehre ist, dass alles untereinander verwoben ist, und diesem Gewebe oder Netz Gott immanent ist.

 

 

 

Die Wahrheit hinter der Realität

 

 

Die Wahrheit hinter der Realität

 

Das Buch vom Göttliches Bewusstsein stellt 112 Kontemplationen vor, die als geeignet dargestellt werden, über das Erleben der Welt, Gotteserkenntnis zu erwerben.

Wir verschließen in unserem ‘normalen’ Bewusstseinszustand die Augen vor dieser Erkenntnis. Erwachen ist dann, dass unsere Augen für diese Sichtweise geöffnet werden und in allem das Eine erkannt wird. Eine Dualität, etwa zwischen ‘gut’ und ‘böse’ oder zwischen ‘ist bereits geschehen’ und ‘wird geschehen’, ist in diesem Zustand nicht mehr anwendbar.

Das Tor, durch dessen Passieren Erwachen geschieht, ist verborgen im “Hier und Jetzt”: Es kann nirgendwo anderes als hier und nirgendwann anders als jetzt geschehen. Als Werkzeug dient ein sensorisches, vom unterscheidenden Verstand ungefiltertes aufmerksames Erleben der Realität.

Die beiden Hauptakteure des Textes − Shiva und Shakti − führen einen Dialog. Sie ist die Fragende, er der Antwortende. Daneben steht sie auch für die Welt, den materiellen, energetischen Aspekt. Er hingegen steht für den Moment des Offenbar-Werdens des göttlichen Bewusstseins in dieser Welt. Dieser Moment wird in der kaschmirischen Denkweise durch Bilder wie die Mitte, die Lücke, das Nichts, die Pause, die Leere oder das Heben des Schleiers beschrieben.

 

 

 

Wege zu Gott

 

 

Wege zu Gott

 

Im kaschmirischen Shivaismus werden diese 112 Methoden oder Übungen, zu Gott zu gelangen, klassifiziert. Es werden drei verschiedene Sichten oder Wege differenziert:

die “Einheitssicht” − Alles ist eins
die “Duale Sicht” − Bewusstsein und Energie sind eins
die “Individuelle Sicht” − Ich bin eins mit allem

In der Individuellen oder Dualen Sicht fokussiert sich die Achtsamkeit auf das sinnhafte Erleben bzw. die mentale Reflektion dessen.

In der Einheitssicht findet die Achtsamkeit kein Objekt mehr und ist ohne Stütze. In diesem Moment geschieht ‘Gnade’ und die Gotteserkenntnis bricht ins Bewusstsein ein − das Göttliche manifestiert sich.